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kastration:kastration

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kastration:kastration [2018/10/26 20:54] – Externe Bearbeitung 127.0.0.1kastration:kastration [2023/10/21 19:41] (aktuell) andreas
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 ====== Kastration ====== ====== Kastration ======
 ===== Allgemeines ===== ===== Allgemeines =====
-Kastrieren bedeutet die operative Entfernung der Keimdrüsen - auch Geschlechtsdrüsen oder Gonaden  genannt.\\ +Kastrieren bedeutet die operative Entfernung (Amputation) der Keimdrüsen - auch Geschlechtsdrüsen oder Gonaden  genannt.\\ 
  
 Beim männlichen Tier werden die Hoden durch eine Orchiektomie, beim weiblichen Tier die Eierstöcke durch die Ovariektomie entfernt. Eine erweiterte Form der Kastration bei weiblichen Tieren bildet  die Ovariohysterektomie, bei der die Eierstöcke und die Gebärmutter entfernt werden.\\  Beim männlichen Tier werden die Hoden durch eine Orchiektomie, beim weiblichen Tier die Eierstöcke durch die Ovariektomie entfernt. Eine erweiterte Form der Kastration bei weiblichen Tieren bildet  die Ovariohysterektomie, bei der die Eierstöcke und die Gebärmutter entfernt werden.\\ 
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 In der Heimtierhaltung werden heute Rammler pauschal kastriert, um sie gemeinsam mit anderen  männlichen oder weiblichen Tieren halten zu können. Zum einen sollen blutige Auseinandersetzungen unter geschlechtsreifen, männlichen Tieren vermieden werden, zum zweiten ungewollter Nachwuchs. Beide Fälle  sind auch durch das Tierschutzgesetz gedeckt. Geregelt ist dieser Punkt im (TierSchG, 2014), § 6((TierSchG (2014): Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 28. Juli 2014 (BGBl. I S. 1308) geändert worden ist; zuletzt geändert durch Art. 3 G v. 28.7.2014 I 1308. [[http://www.gesetze-im-internet.de/tierschg/BJNR012770972.html|Dokument]])):\\  In der Heimtierhaltung werden heute Rammler pauschal kastriert, um sie gemeinsam mit anderen  männlichen oder weiblichen Tieren halten zu können. Zum einen sollen blutige Auseinandersetzungen unter geschlechtsreifen, männlichen Tieren vermieden werden, zum zweiten ungewollter Nachwuchs. Beide Fälle  sind auch durch das Tierschutzgesetz gedeckt. Geregelt ist dieser Punkt im (TierSchG, 2014), § 6((TierSchG (2014): Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 28. Juli 2014 (BGBl. I S. 1308) geändert worden ist; zuletzt geändert durch Art. 3 G v. 28.7.2014 I 1308. [[http://www.gesetze-im-internet.de/tierschg/BJNR012770972.html|Dokument]])):\\ 
  
-"(1) Verboten ist das vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen oder das vollständige oder teilweise Entnehmen oder Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres. Das Verbot gilt nicht, wenn\\ +"//(1) Verboten ist das vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen oder das vollständige oder teilweise Entnehmen oder Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres. Das Verbot gilt nicht, wenn\\ 
  
  
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 4. das vollständige oder teilweise Entnehmen von Organen oder Geweben erforderlich ist, um zu anderen als zu wissenschaftlichen Zwecken die Organe oder Gewebe zu transplantieren, Kulturen anzulegen oder isolierte Organe, Gewebe oder Zellen zu untersuchen,\\  4. das vollständige oder teilweise Entnehmen von Organen oder Geweben erforderlich ist, um zu anderen als zu wissenschaftlichen Zwecken die Organe oder Gewebe zu transplantieren, Kulturen anzulegen oder isolierte Organe, Gewebe oder Zellen zu untersuchen,\\ 
  
-5. zur Verhinderung der unkontrollierten Fortpflanzung oder - soweit tierärztliche Bedenken nicht entgegenstehen - zur weiteren Nutzung oder Haltung des Tieres eine Unfruchtbarmachung vorgenommen wird."\\ +5. zur Verhinderung der unkontrollierten Fortpflanzung oder - soweit tierärztliche Bedenken nicht entgegenstehen - zur weiteren Nutzung oder Haltung des Tieres eine Unfruchtbarmachung vorgenommen wird.//"\\ 
  
  
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 Zwingt der  Grund zu der Maßnahme, liegt eine absolute, bei Vorliegen von sinnvollen Alternativen eine relative Indikation vor. Die tierärztliche Indikation ist also nicht ausschließlich auf das Vorliegen einer Erkrankung  beschränkt. Da das Gesetz das Wohlergehen und die Unversehrtheit des Tieres im Sinn hat, ist sie auch bei einer Verletzungsgefahr für das Individuum als auch anderer Tiere möglich.  Zwingt der  Grund zu der Maßnahme, liegt eine absolute, bei Vorliegen von sinnvollen Alternativen eine relative Indikation vor. Die tierärztliche Indikation ist also nicht ausschließlich auf das Vorliegen einer Erkrankung  beschränkt. Da das Gesetz das Wohlergehen und die Unversehrtheit des Tieres im Sinn hat, ist sie auch bei einer Verletzungsgefahr für das Individuum als auch anderer Tiere möglich. 
  
-Ausdrücklich keine Indikation  löst jedoch der Wunsch aus, denkbaren, künftigen Erkrankungen vorzubeugen((Lorz, A.; Metzger, E. (2008): Tierschutzgesetz mit Allgemeiner Verwaltungsvorschrift, Rechtsverordnungen  und Europäischen Übereinkommen sowie Erläuterungen des Art. 20 a GG. Kommentar. begründet von  Lorz, A.; bearbeitet von Metzger, E. 6., neubearbeitete Aufl. München: C. H. Beck. ISBN 9783406554360)).  In einem Gerichtsurteil((Amtsgericht Alzey; Aktenzeichen 22 C 903/95; Verkündet am 14.06.1996)) wurd z. B. eine Vertragsklausel eines Tierheims in einem so genannten „Übergabevertrag“ als  unwirksam erklärt, die den Übernehmer eines Tieres nach der Übergabe zu dessen Kastration verpflichtete, weil sie gegen § 1 des Tierschutzgesetzes verstößt. In der  Begründung heißt es, dass die Durchführung einer Kastration dem Tierschutzgesetz widerspreche, da ohne  vernünftigen Grund dem Tier keine Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden dürfen. Bestände für das Tier zusätzlich noch ein Narkose- oder Eingriffsrisiko, würde sich ein solcher Eingriff  ohnehin verbieten.\\+Ausdrücklich keine Indikation  löst jedoch der Wunsch aus, denkbaren, künftigen Erkrankungen vorzubeugen((Lorz, A.; Metzger, E. (2008): Tierschutzgesetz mit Allgemeiner Verwaltungsvorschrift, Rechtsverordnungen  und Europäischen Übereinkommen sowie Erläuterungen des Art. 20 a GG. Kommentar. begründet von  Lorz, A.; bearbeitet von Metzger, E. 6., neubearbeitete Aufl. München: C. H. Beck. ISBN 9783406554360)).  In einem Gerichtsurteil((Amtsgericht Alzey; Aktenzeichen 22 C 903/95; Verkündet am 14.06.1996)) wurde z. B. eine Vertragsklausel eines Tierheims in einem so genannten „Übergabevertrag“ als  unwirksam erklärt, die den Übernehmer eines Tieres nach der Übergabe prinzipiell zu dessen Kastration verpflichtete. Diese Klausel verstößt gegen § 1 des Tierschutzgesetzes. In der  Begründung wurde festgehalten, dass die Durchführung einer Kastration dem Tierschutzgesetz widerspreche, da ohne  vernünftigen Grund dem Tier keine Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden dürfen. Bestände für das Tier zusätzlich noch ein Narkose- oder Eingriffsrisiko, würde sich ein solcher Eingriff  ohnehin verbieten.\\
  
-Im Tierschutzgesetz, Erster Abschnitt, Grundsatz, § 1 heißt es:\\+Im Tierschutzgesetz, Erster Abschnitt, Grundsatz, § 1 heißt es: "//Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der  Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.//"((TierSchG (2008): Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S.  1206, 1313), zuletzt geändert durch g vom 18. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3001; 2008, 47))
  
-''Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der  Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.''((TierSchG (2008): Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S.  1206, 1313), zuletzt geändert durch g vom 18. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3001; 2008, 47)) +Nach einer Umfrage von Mertens & Unselm (1997)((Mertens, P. A.; Unselm; J. (1997): Die Kastration des Hundes. Rechtslage, mögliche Probleme und gängige Praxis. Kleintierpraxis 42(8). 631-640)) in 331 Tierarztpraxen und -kliniken waren sich 73% der Befragten nicht bewusst, dass eine Kastration beim Hund ausschließlich im Einzelfall und nur bei tierärztlicher, d. h. medizinischer Indikation erlaubt ist. Eine Klausel im Abgabevertrag von Tierheimen wie im obengenannten Gerichtsfall, die die Halter zwingen soll, einen Hund pauschal und ungeachtet aller Umstände kastrieren zu lassen, wird auch zukünftig nicht gerichtlich durchzusetzen sein.((Mertens, P. A.; Unselm; J. (1997): Die Kastration des Hundes. Rechtslage, mögliche Probleme und gängige Praxis. Kleintierpraxis 42(8). 631-640))
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-Nach einer Umfrage von Mertens & Unselm (1997)((Mertens, P. A.; Unselm; J. (1997): Die Kastration des Hundes. Rechtslage, mögliche Probleme und gängige Praxis. Kleintierpraxis 42(8). 631-640)) von 331 Tierarztpraxen und -kliniken waren sich 73% der Befragten nicht bewusst, dass eine Kastration beim Hund ausschließlich im Einzelfall und nur bei tierärztlicher, d. h. medizinischer Indikation erlaubt ist. Eine Klausel im Abgabevertrag von Tierheimen wie im obengenannten Gerichtsfall, die die Halter zwingen soll, einen Hund ungeachtet der Umstände kastrieren zu lassen, wird auch zukünftig nicht gerichtlich durchzusetzen sein.((Mertens, P. A.; Unselm; J. (1997): Die Kastration des Hundes. Rechtslage, mögliche Probleme und gängige Praxis. Kleintierpraxis 42(8). 631-640))+
  
 ===== Aktuelle Sitution in Deutschland ===== ===== Aktuelle Sitution in Deutschland =====
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   * Verhütung von oder Abstellen aggressiven Verhaltens und “Urinspritzens” bzw. Markierverhalten.   * Verhütung von oder Abstellen aggressiven Verhaltens und “Urinspritzens” bzw. Markierverhalten.
  
-Das Verhüten von denkbaren, im späteren Lebensalter eventuell auftretenden Erkrankungen und das Unterdrücken artspezifischen Verhaltens sind durch das Tierschutzgesetz nicht gedeckt. Studienergebnisse, die die These einer erhöhten Anfälligkeit aller weiblichen Kaninchen für die Entstehung von [[:tumore|Gebärmuttertumoren]] stützen könnte, werden häufig verfälscht oder falsch interpretiert..+Das Verhüten von denkbaren, im späteren Lebensalter eventuell auftretenden Erkrankungen und das Unterdrücken artspezifischen Verhaltens mittels einer Kastration sind durch das Tierschutzgesetz **nicht** gedeckt. Studienergebnisse, die z. B. die These einer erhöhten Anfälligkeit aller weiblichen Kaninchen für die Entstehung von [[krankheiten:tumore|Gebärmuttertumoren]] stützen könnte, werden häufig verfälscht oder falsch interpretiert.
  
 Die Entnahme von gesunden Organen aus gesunden Tieren in der Erwartung, dass diese Organe somit nicht mehr erkranken können, löst mitunter eine Kettenreaktion aus, in deren Folge das Tier bzw. andere Organe erkranken können. Die Entnahme von gesunden Organen aus gesunden Tieren in der Erwartung, dass diese Organe somit nicht mehr erkranken können, löst mitunter eine Kettenreaktion aus, in deren Folge das Tier bzw. andere Organe erkranken können.
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 In der Haustierhaltung von Kaninchen ist die Kastration weiblicher Tiere aus Gründen der Vermehrung normalerweise nicht gegeben, weil in der Regel die Rammler kastriert werden. Diese Maßnahme soll vor ungewollter Vermehrung wie auch dem Schutz vor gleichgeschlechtlichen Artgenossen dienen, weil bei Eintreten der Geschlechtsreife Rangordnungskämpfe um das Territorium ausgetragen werden, die auf Grund des begrenzten Territoriums und somit fehlender Ausweichmöglichkeiten eine hohe Verletzungsgefahr bergen. In der Haustierhaltung von Kaninchen ist die Kastration weiblicher Tiere aus Gründen der Vermehrung normalerweise nicht gegeben, weil in der Regel die Rammler kastriert werden. Diese Maßnahme soll vor ungewollter Vermehrung wie auch dem Schutz vor gleichgeschlechtlichen Artgenossen dienen, weil bei Eintreten der Geschlechtsreife Rangordnungskämpfe um das Territorium ausgetragen werden, die auf Grund des begrenzten Territoriums und somit fehlender Ausweichmöglichkeiten eine hohe Verletzungsgefahr bergen.
  
-===== Risiken und mögliche Folgen einer Kastration ===== +---- 
-Es werden mögliche, dokumentierte Folgen für verschiedene Tierarten und den Menschen aufgeführt. Nicht jede Folge muss nach einer Kastration zwingend auftreten und wenn bestimmte Folgen für eine Tierart dokumentiert sind und für andere nicht, heißt das nicht, dass sie bei auch diesen nicht auftreten. Nicht alles ist nach bisherigem Stand exakt für jede Tierart einzeln nachgewiesen. +{{counter|today}} {{counter|yesterday}} {{counter|total}}
-==== Kaninchen ==== +
-Nach (Bokelmann & Scheringer (1932)((Bokelmann, O.; Scheringer, W. (1932): Der Einfluß der Kastration auf den Funktionszustand der  Schilddrüse bei der weiblichen Albinoratte. Archives of Gynecology and Obstetrics vol. 148. 1-11)) zusammengefasst: größere, stärkere Knochen bei Kaninchen, die im Alter von 3 Monaten kastriert wurden, Vergrößerung der Hirnanhangsdrüse, Vergrößerung des Thymus bei Kaninchen, die im Alter von 1–3 Monaten kastriert wurden, Verzögerung der Involution des Thymus, Hypertrophie der Nebennieren nach Entfernen der Eierstöcke sowie eine Verbreiterung der Nebennierenrinde bei Verkleinerung der Marksubstanz.  +
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-Die typischste Begleiterscheinung einer Kastration ist die Gewichtszunahme. Allein dadurch ergeben sich  als Folge weitere Erkrankungen. Durch weniger Bewegung kommt es Muskelund Knochenschwund. Die verringerte Aktivität birgt auf Grund des Harnstaus die Gefahr der Bildung von Steinen in den Harnwegen und -organen (Urolithiasis)((Eckermann-Ross, C. (2008): Hormonal Regulation and Calcium Metabolism in the Rabbit. Vet Clin Exot Anim 11. 139-152)). Durch den veränderten Hormonstoffwechsel und das Absinken des Calcitoningehaltes im Blut kann es zu Osteoporose kommen, was sich wiederum negativ auf die Qualität der Zähne auswirken kann. Sie werden brüchig oder fallen aus - eigentlich typische Alterserscheinungen, die aber durch die Kastration auch bei relativ jungen Tieren  quasi vorgezogen werden. Bei weiblichen Tieren mag zwar ein erhöhtes Risiko einer [[:tumore|Krebserkrankung]] vorliegen, ein gesicherter  Nachweis über eine erhöhte Sterblichkeit existiert jedoch nicht. Viele Krebserkrankungen werden erst post mortem (nach dem Tod) bei einer Autopsie diagnostiziert- gestorben sind die Tiere aber auf Grund einer anderen Ursache.  +
- +
-==== Ratten ====   +
-Bei Ratten wurde von Tandler & Grosz (1913)((Tandler, J.; Grosz, S. (1913): Die biologischen Grundlagen der sekundären Geschlechtscharaktere. Berlin:  Springer)) eine starke Verkleinerung der Prostata festgestellt, bei verschiedenen Säugetierarten ein verändertes Knochenwachstum und vor allem die Veränderung von Proportionen der Knochen untereinander. Nach (Bokelmann & Scheringer (1932)((Bokelmann, O.; Scheringer, W. (1932): Der Einfluß der Kastration auf den Funktionszustand der  Schilddrüse bei der weiblichen Albinoratte. Archives of Gynecology and Obstetrics vol. 148. 1-11)) führte die Kastration bei weiblichen Albinoratten zu einer relativen, funktionellen und anatomischen Atrophie (Verkleinerung) der Thyreoidea (Schilddrüse). Erkrankungen der Schilddrüse mit ihren Auswirkungen werden bei Kleintieren wie Ratten, Mäusen und Kaninchen selten beschrieben. Das heißt aber nicht, dass sie wie bei anderen Säugetieren keine Rolle spielen würden – sie werden nur schlicht nicht als solche erkannt. In Versuchen von Drori & Folman (1976)((Drori, D.; Folman, Y. (1976): Environmental effects on longevity in the male rat: Exercise, mating, castration  and restricted feeding. Experimental Gerontology 11(1–2). 25–32)) wurde eine moderate Verlängerung der Lebensdauer durch die Kastration festgestellt, einen größeren Einfluss darauf hatte jedoch die Bewegung bzw. Mobilität. Dieser Effekt ist auch bei männlichen Kastraten festzustellen. Vorrangig liegt das an dem fast völligen Wegfall der Produktion von Testosteron. Damit verbunden sind weniger Revier- oder Rangordnungskämpfe und somit  die Verletzungsgefahr. Im Gegensatz dazu kann bei weiblichen Tieren sogar die Aggressivität zunehmen, weil der Einfluss der Östrogene fehlt.  +
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-Die Kastration weiblicher, ausgewachsener Ratten führte in Versuchen von Gürkan, et al. (1986)((Gürkan, L.; Ekeland, A.; Gautvik, K. M.; Langeland, N.; Rønningen, H.; Solheim, L. F. (1986): Bone changes  after castration in rats. A model for osteoporosis. Acta Orthopaedica 57(1). 67-70)) zu Osteoporose, also eine Verringerung der Knochendichte, wie sie normalerweise erst im Alter auftritt und vergleichbar mit anderen Säugetieren sowie dem Menschen ist. Schuld ist das Absinken des Calcitonin- Spiegels im Blut nach der Kastration. Dabei handelt es sich um ein Hormon aus der Schilddrüse, das als Gegenspieler von Parathormon den Calcium- und Phosphathaushalt im Körper reguliert. Calcitonin hat  dabei eine calciumsenkende Wirkung und hemmt den Calciumabbau aus den Knochen. Das Parathormon  wird in der Nebenschilddrüse gebildet und hat eine calciumerhöhende Wirkung im Blutplasma((Bourdeau, J. E.; Schwer-Dymerski, D. A.; Stern, P.H.; Langman, C. B. (1986): Calcium and phosphorus  metabolism in chronically vitamin-D-deficient laboratory rabbits. Miner Electrolyte Metab. 12(3). 176-185))((Warren, H. B.; Lausen, N. C. C.; Segre, G. V.; El-Hajj,G.; Brown, E. M. (1989): Regulation of Calciotropic  Hormones in Vivo  in the New Zealand White Rabbit. Endocrinology 125: 2683-2690.)). Eine weitere Ursache der Verringerung der Knochendichte kann zum  Beispiel Bewegungsarmut auf Grund des Muskelabbaus und Adipositas darstellen. Wronski und Mitarbeiter (1989)((Wronski, T. J.; Dann, L. M.; Scott, K. S.; Cintrón, M. (1989): Long-term effects of ovariectomy and aging on  the rat skeleton. Biomedical and Life Science 45(6). 360-366)) überprüften in einer Langzeituntersuchung ebenfalls den Einfluss der Ovariektomie  auf die Knochendichte. Nach der Entfernung der Eierstöcke wurde ein zweistufiges Muster der Verringerung der Knochendichte beobachtet. Nach der Kastration wurde eine Osteoponie, die Vorstufe von Osteoporose, konstatiert, in deren Verlauf sich die Knochendichte um 5–7% verringerte. Nach einer gewissen Zeit  erfolgte eine  Stabilisierung, in deren weiteren Verlauf ein Verlust von 1–2% der Knochendichte konstatiert wurde.  +
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-Die Inzidenz von Harnsteinen in intakten weiblichen Ratten mit gleicher Nahrung unter Zuführung von Testosteron betrug 10% und erhöhte sich auf 40% in Ratten, denen die Eierstöcke entfernt wurden((Eckermann-Ross, C. (2008): Hormonal Regulation and Calcium Metabolism in the Rabbit. Vet Clin Exot Anim 11. 139-152)). +
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-==== Hunde ==== +
-In einer Untersuchung von 15.363 Hunden wurde festgestellt, dass die Kastration zwar keinen Protasta-Krebs auslösen, den Verlauf der Erkrankung aber beschleunigen kann((Teske, E.; Naan, E. C.; van Dijk, E.M.; Van Garderen, E.; Schalken J. A. (2002): Canine prostate carcinoma:  epidemiological evidence of an increased risk in castrated dogs. Mol Cell Endocrinol 197(1-2). 251-5)). Hart (2001)((Hart, B. L. (2001): Effect of gonadectomy on subsequent development of age-related cognitive impairment  in dogs. J Am Vet Med Assoc 219(1). 51-6)) untersuchte in einer Studie die kognitive Schwächung als Folge der Kastration in den  Kategorien Orientierung im Haus und im Freien, soziale Wechselwirkungen, Training sowie den Schlaf-/Wach-Zyklus. Die Ergebnisse einer stärkeren Schwächung bei kastrierten Rüden und Hündinnen weisen klar darauf hin, dass das Testosteron bei intakten männlichen und die Östrogene bei intakten weiblichen  Tieren den Fortschritt des Verlustes der kognitiven Fähigkeiten deutlich verlangsamen. Durch den Verlust der Sexualhormone werden also bereits früh Prozesse beschleunigt, die eigentlich erst im späten Alter in Gang kommen. Bei männlichen und weiblichen Rottweilern, die noch vor Erreichen des 1. Lebensjahres kastriert wurden, bestand in einer Untersuchung ein sehr viel höheres Risiko, später an Knochenkrebs zu erkranken. Außerdem bestand ein hoch signifikanter Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt der Kastration und der  Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Knochenkrebs((Cooley, D. M.; Beranek, B. C.; Schlittler, D. L.; Glickman, N. W.; Glickman, L. T.; Waters, D. J. (2002):  Endogenous gonadal hormone exposure and bone sarcoma risk. Cancer Epidemiol Biomarkers Prev  11(11). 1434-1440)).   +
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-Also Risiken werden von Merttens & Unselm (1997)((Mertens, P. A.; Unselm; J. (1997): Die Kastration des Hundes. Rechtslage, mögliche Probleme und gängige Praxis. Kleintierpraxis 42(8). 631-640)) neben unmittelbaren Narkoserisiken Abwehrreaktionen im Bereich der Ligaturen aufgeführt, des Weiteren Fistelbildungen, Blutungen, Nahtdehiszenzen, Serombildungen, postoperativen Verwachsungen und Infektionen. Weitere Folgen sind vermehrte Wollhaarbildung, Haarausfall, Hypoöstrogenismus (Östrogenmangel) sowie Inkontinenz. +
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-''Gerade Im Hinblick auf mögliche Nebenwirkungen ist eine präpubertäre Kastration, allein um zukünftige Erkrankungen zu verhindern, zweifelhaft. Entsprechend dem § 6 Abs. 1 Nr. 1 a Tierschutzgesetz muss der Eingriff im Einzelfall geboten sein.''((Möbius, G. (2009): Die Kastration beim Hund - Indikationen unter dem Blickwinkel des TierschutzgesetzeS. kleintier.konkret 51. 13-18)) +
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-Einzigartige und sehr umfangreiche Darstellungen der Kastration bei Hunden in Bezug auf körperliche Folgen sowie des Verhaltens liefern Niepel (2007)((Niepel, G (2007): Kastration beim Hund: Chancen und Risiken - eine Entscheidungshilfe. Stuttgart: Kosmos.  ISBN 978-3-440-10121-6)) sowie Gansloßer & Strodtbeck (2011)((Gansloßer, U.; Strodtbeck, S. (2011): Kastration und Verhalten beim Hund. 2. Aufl. Müller Rüschlikon. ISBN 978-3275018208)).   +
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-==== Katzen ==== +
-Bei frühkastrierten Katzen wurde später (12, 18 und 24 Monate) eine signifikante Zunahme des Körperfettes und des Körpergewichtes um ca. 1,0 kg festgestellt, die auf eine kastrationsbedingte Reduktion der Stoffwechselaktivität im Vergleich zu intakten Katzen der Kontrollgruppe zurückzuführen war((Root, M. V.; Johnston, S. D.; Olson, P. N. (1996): Effect on prepuberal and postpuberal gonadectomy on heat production measured by indirect calorimetry in male and female domestic cats. American Journal of Veterinary Research (3). 371-374)). Der Harnröhrendurchmesser weiblicher Katzen war im Alter von 22 Monaten nach der Kastration im Welpenalter signifikant geringer als bei nicht kastrierten Tieren((Root, M. V.; Johnston, S. D.; Johnston, G. R.; Olson, P. N. (1996): The effect of prepuberal and postpuberal gonadectomy on penile extrusion and urethral diameter in the domestic cat. Veterinary Radiology & Ultrasound 37(5). 363-366.)). +
- +
-==== Menschen ==== +
-Ergebnisse von Untersuchungen an frühkastrierten Männern ergaben nach Tandler & Grosz (1913)((Tandler, J.; Grosz, S. (1913): Die biologischen Grundlagen der sekundären Geschlechtscharaktere. Berlin:  Springer)) u. a. eine  verkleinerte Prostata und Schilddrüse, eine blasse, pigmentarme und faltige Haut, dichtes Haupthaar sowie eine enorme Entwicklung von Körperfett – vor allem an Gesäß, Brust, Oberschenkeln sowie im Becken- und  Unterbauchbereich. Im Knochenbau zeigten sich Proportionsstörungen in der Länge der Gliedmaßen, ein Missverhältnis zwischen Extremitäten- und Rumpflänge, spät verschlossene Wachstumsfugen, ein  verringerter Schädelumfang, die Ausbildung eines starken Stirnbeins und eine Vergrößerung der mittleren Schädelgrube. All diese Veränderungen waren umso prägnanter, je früher die Kastration stattfand.  Außerdem wurde explizit darauf hingewiesen, dass die Kastration einen  Einfluss auf den Stoffwechsel, insbesondere auch auf den von Calcium und Phosphor sowie auf die Blutbeschaffenheit (Absinken von Hämoglobingehalt und Zahl der roten Blutkörperchen) sowie eine Verzögerung der Blutgerinnung bei Mensch und Tier nimmt. Die Deutsche Gesellschaft für Urologie gibt die Auswirkungen einer Kastration für Menschen  folgendermaßen an (DGU, 2009)((Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V. (2009): Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms. Version 1.03 – März 2011)):\\ +
-''Veränderungen des Metabolismus, Reduktion der Muskelmasse, Gewichtszunahme, Lipidstoffwechselstörungen, Insulinresistenz, Hyperglykämie und auf dieser Grundlage möglicherweise eine erhöhte Inzidenz kardiovaskulärer Erkrankungen (akuter Myokardinfarkt, chronische Herzinsuffizienz, zerebrovaskuläre Ereignisse, Tiefe Venenthrombose, Lungenembolie), Diabetes, Anämie  mit Leistungsverlust und Schwächezuständen - Fatigue-Syndrom, Abnahme der kognitiven Fähigkeiten'' +
- +
-===== Zusammenfassung ===== +
-<note> +
-Die Sterilisation von Haustieren unterliegt in Deutschland keiner Einschränkung, Die Amputation, zu der auch die Kastration zählt, ist nur erlaubt, um unerwünschten Nachwuchs zu verhindern, bei Erkrankungen, die eine Kastration notwendig machen sowie zum eigenen Schutz und den von Artgenossen. Zum eigenen Schutz gehören z. B. übermäßige, hormonell bedingte Aktivitäten, die auf längere Sicht eine Belastung für das Tier darstellen können. Kastrationen, die eine mögliche, künftige Erkrankung verhüten sollen, sind gesetzlich **nicht gestattet**. Neben dem Narkoserisiko insbesondere geschwächter oder kranker Tiere kann jede Kastration mit künftigen Erkrankungen verbunden sein, die sich direkt aus dem Eingriff und damit verbundener, hormoneller Stoffwechseländerungen ergeben können. Diese sind in der Regel langfristig und werden häufig nicht mehr der früheren Kastration zugerechnet. Fast alle Tiere sind nach einer Kastration von einer Gewichtszunahme betroffen, die sich auch aus einer verringerten Mobilität ergeben kann. Vor einer Kastration weiblicher Tiere sollten Vorsorgeuntersuchungen die Bestätigung einer möglichen Organveränderung liefern. Eine Frühkastration von Tieren sollte nicht vorgenommen werden.</note> +
kastration/kastration.1540580077.txt.gz · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1

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