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Kastration
Allgemeines
Kastrieren bedeutet die operative Entfernung (Amputation) der Keimdrüsen - auch Geschlechtsdrüsen oder Gonaden genannt.
Beim männlichen Tier werden die Hoden durch eine Orchiektomie, beim weiblichen Tier die Eierstöcke durch die Ovariektomie entfernt. Eine erweiterte Form der Kastration bei weiblichen Tieren bildet die Ovariohysterektomie, bei der die Eierstöcke und die Gebärmutter entfernt werden.
Durch eine Kastration wird die Fortpflanzungsfähigkeit komplett unterbunden, zusätzlich werden nur noch sehr wenige Sexualhormone produziert. Der zweite Punkt soll bestimmte Verhaltensweisen beeinflussen.
Bei einer Sterilisation werden bei männlichen Tieren die Samenleiter, bei weiblichen die Eileiter durchtrennt, also „nur“ die Fortpflanzungsfähigkeit ausgeschlossen, auf die Produktion von Sexualhormonen hat dieser Eingriff keine Auswirkungen. Während die Kastration einen erheblichen Eingriff mit Folgen für den gesamten Organismus darstellt, bedeutet die Sterilisation ein geringeres Risiko für das Tier.
Die Rechtslage
In der Heimtierhaltung werden heute Rammler pauschal kastriert, um sie gemeinsam mit anderen männlichen oder weiblichen Tieren halten zu können. Zum einen sollen blutige Auseinandersetzungen unter geschlechtsreifen, männlichen Tieren vermieden werden, zum zweiten ungewollter Nachwuchs. Beide Fälle sind auch durch das Tierschutzgesetz gedeckt. Geregelt ist dieser Punkt im (TierSchG, 2014), § 61):
„(1) Verboten ist das vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen oder das vollständige oder teilweise Entnehmen oder Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres. Das Verbot gilt nicht, wenn
1. der Eingriff im Einzelfall
a) nach tierärztlicher Indikation geboten ist oder
b) bei jagdlich zu führenden Hunden für die vorgesehene Nutzung des Tieres unerläßlich ist und tierärztliche Bedenken nicht entgegenstehen,
1a. eine nach artenschutzrechtlichen Vorschriften vorgeschriebene Kennzeichnung vorgenommen wird,
1b. eine Kennzeichnung von Pferden durch Schenkelbrand vorgenommen wird,
2. ein Fall des § 5 Abs. 3 Nr. 1 oder 7 vorliegt,
2a. unter acht Tage alte männliche Schweine kastriert werden,
3. ein Fall des § 5 Abs. 3 Nr. 2 bis 6 vorliegt und der Eingriff im Einzelfall für die vorgesehene Nutzung des Tieres zu dessen Schutz oder zum Schutz anderer Tiere unerläßlich ist,
4. das vollständige oder teilweise Entnehmen von Organen oder Geweben erforderlich ist, um zu anderen als zu wissenschaftlichen Zwecken die Organe oder Gewebe zu transplantieren, Kulturen anzulegen oder isolierte Organe, Gewebe oder Zellen zu untersuchen,
5. zur Verhinderung der unkontrollierten Fortpflanzung oder - soweit tierärztliche Bedenken nicht entgegenstehen - zur weiteren Nutzung oder Haltung des Tieres eine Unfruchtbarmachung vorgenommen wird.„
Dieser Paragraph dient also dem Schutz der Unversertheit des Tieres. Er gestattet eine Amputation, und darum handelt es sich bei einer Kastration, in der Heimtierhaltung nur in 3 Fällen:
- wenn ein Tierarzt die medizinische Notwendigkeit wie z. B. eine Krebserkrankung feststellt (Indikation)
- zum Schutz des Tieres oder anderer
- zur Verhinderung einer unkontrollierten Fortpflanzung.
Amputation bedeutet nach Lorz & Metzger (2008)2) die beabsichtigte Entfernung eines Teiles des Körpers. Der Begriff beschränkt sich dabei nicht nur auf Gliedmaßen, wie umgangssprachlich oft angenommen wird, sondern auch auf Organe. Diese wiederum bestehen aus Zellen und Gewebe, deren Einheit mit bestimmten Funktionen verbunden ist. Als Gewebe werden Zellverbände bezeichnet, die den Körper aufbauen. Dazu zählt auch Knochengewebe.
Eine tierärztliche Indikation definiert sich als Rechtfertigungsgrund bzw. Umstand tierärztlich diagnostischer, therapeutischer und prophylaktischer Maßnahmen bei einer vorliegenden Erkrankung oder nach Abschätzung eines mögliche Nutzens und der Risiken für den Patienten, um Schaden, Leiden und Schmerzen von ihm abzuwenden 3)4)5).
Zwingt der Grund zu der Maßnahme, liegt eine absolute, bei Vorliegen von sinnvollen Alternativen eine relative Indikation vor. Die tierärztliche Indikation ist also nicht ausschließlich auf das Vorliegen einer Erkrankung beschränkt. Da das Gesetz das Wohlergehen und die Unversehrtheit des Tieres im Sinn hat, ist sie auch bei einer Verletzungsgefahr für das Individuum als auch anderer Tiere möglich.
Ausdrücklich keine Indikation löst jedoch der Wunsch aus, denkbaren, künftigen Erkrankungen vorzubeugen6). In einem Gerichtsurteil7) wurde z. B. eine Vertragsklausel eines Tierheims in einem so genannten „Übergabevertrag“ als unwirksam erklärt, die den Übernehmer eines Tieres nach der Übergabe prinzipiell zu dessen Kastration verpflichtete. Diese Klausel verstößt gegen § 1 des Tierschutzgesetzes. In der Begründung wurde festgehalten, dass die Durchführung einer Kastration dem Tierschutzgesetz widerspreche, da ohne vernünftigen Grund dem Tier keine Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden dürfen. Bestände für das Tier zusätzlich noch ein Narkose- oder Eingriffsrisiko, würde sich ein solcher Eingriff ohnehin verbieten.
Im Tierschutzgesetz, Erster Abschnitt, Grundsatz, § 1 heißt es: “Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“8)
Nach einer Umfrage von Mertens & Unselm (1997)9) in 331 Tierarztpraxen und -kliniken waren sich 73% der Befragten nicht bewusst, dass eine Kastration beim Hund ausschließlich im Einzelfall und nur bei tierärztlicher, d. h. medizinischer Indikation erlaubt ist. Eine Klausel im Abgabevertrag von Tierheimen wie im obengenannten Gerichtsfall, die die Halter zwingen soll, einen Hund pauschal und ungeachtet aller Umstände kastrieren zu lassen, wird auch zukünftig nicht gerichtlich durchzusetzen sein.10)
Aktuelle Sitution in Deutschland
Verhütung
Die Kastration von Rammlern ist aus den bereits genannten Gründen des eigenen Schutzes und den von Artgenossen sowie der ungewollten Fortpflanzung heute relativ „normal“ und in der Heimtierhaltung kaum in Frage gestellt. Trotzdem muss ganz klar darauf verwiesen werden, dass bei entsprechenden Gruppenkonstellationen und Haltungsbedingungen die Haltung mehrerer geschlechtsreifer Rammler ohne weiteres möglich ist. Seit einiger Zeit werden aber verstärkt Kastrationen weiblicher Kaninchen durchgeführt und empfohlen – und zwar vorsorglich bzw. prophylaktisch, also ohne medizinischen Grund. Als mögliche Gründe für die Kastration weiblicher Tiere werden von den Befürwortern u. a. folgende aufgeführt:
- Verhütung von Gebärmutterkrebs und anderen Gebärmuttererkrankungen,
- Verhütung von Scheinträchtigkeiten,
- Verhütung von Brustdrüsenerkrankungen,
- Verhütung von oder Abstellen aggressiven Verhaltens und “Urinspritzens” bzw. Markierverhalten.
Das Verhüten von denkbaren, im späteren Lebensalter eventuell auftretenden Erkrankungen und das Unterdrücken artspezifischen Verhaltens mittels einer Kastration sind durch das Tierschutzgesetz nicht gedeckt. Studienergebnisse, die z. B. die These einer erhöhten Anfälligkeit aller weiblichen Kaninchen für die Entstehung von Gebärmuttertumoren stützen könnte, werden häufig verfälscht oder falsch interpretiert.
Die Entnahme von gesunden Organen aus gesunden Tieren in der Erwartung, dass diese Organe somit nicht mehr erkranken können, löst mitunter eine Kettenreaktion aus, in deren Folge das Tier bzw. andere Organe erkranken können.
Humanbereich
Im Humanbereich wurden für Frauen in Deutschland folgende Fakten festgestellt11):
- eine von acht Frauen (12,5%) in Deutschland erkrankt im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs. Davon ist jede vierte betroffene Frau jünger als 55 Jahre, jede zehnte noch keine 45 Jahre alt. Ein besonders hohes Risiko bilden dabei u. a. eine frühe erste und eine späte letzte Regelblutung, Kinderlosigkeit oder ein höheres Alter bei der ersten Geburt, Hormonersatztherapie mit Östrogenen in und nach den Wechseljahren (allein oder kombiniert mit Gestagenen), Übergewicht und Bewegungsmangel nach den Wechseljahren, Alkohol, Aktiv- und Passivrauchen, dichtes Brustdrüsengewebe, bestimmte gutartige Veränderungen (Neoplasien) und das Auftreten von Brust- oder Eierstockkrebs in der Familie.
- 2,1 % der Frauen in Deutschland erkranken im Laufe des Lebens an Gebärmutterkörperkrebs, eine von 200 (0,5%) stirbt daran. Bei 68% der Tumore handelt es sich um Adenokarzinome. Als Risikofaktoren gelten u. a. das Alter, der langfristige Einfluss von Östrogenen, eine frühe erste Regelblutung sowie späte Wechseljahre, Kinderlosigkeit, Erkrankungen der Eierstöcke, Östrogene als Monotherapie in den Wechseljahren, Übergewicht und Bewegungsmangel.
- Bei 17–20% der gebärfähigen Frauen in Europa entwickeln sich vor allem im Alter zwischen 35–50 Jahren Myome, also gutartige Tumore bzw. Wucherungen in der Muskelschicht der Gebärmutter. Zystenbildungen an der Gebärmutter können jede Frau betreffen, vor allem kurz nach der Pubertät und vor den Wechseljahren.
Populationsregulierung
Als eine Begründung für die Notwendigkeit der Kastration wildlebender Tiere wird häufig die Überpopulation angeführt. Eine Untersuchung zum Thema „Regulierung der Population von Wildkaninchen“ in freier Wildbahn in Australien wurde von Twigg, et al., 200012) veröffentlicht. Über vier Jahre wurde der Einfluss der eingeschränkten Fruchtbarkeit in 12 verschiedenen Populationen untersucht, in denen jeweils 0%, 40%, 60% und 80% der Weibchen sterilisiert wurden. Mit steigender Sterilisationsrate sank auch die Populationsdichte. Dieser Effekt wurde aber zum Teil dadurch kompensiert, das mehr junge und ältere Tiere überlebten. Da in der Population mit der höchsten Sterilisationsrate von 80% die Einwanderrate fremder Tiere hoch und die Abwanderungsrate gering war, wurde eine Überschätzung des Effektes der Sterilisation vermutet.
Tabelle 6: Gesamtzahl der Tiere am Beginn und Ende der Untersuchung in Abhängigkeit von der jeweiligen Sterilisationsrate, aus Twigg, et al., (2000)13)
Sterilisationsrate | 0% | 40% | 60% | 80% |
---|---|---|---|---|
durchschn. Anzahl der Tiere im Frühjahr 1992 | 23,3 | 34,7 | 38,3 | 41,4 |
durchschn. Anzahl der Tiere im Winter 1996 | 62,7 | 73,7 | 56,0 | 51,0 |
Selbst im Fall der Sterilisation von 80% weiblicher Tiere einer Population von Wildkaninchen lag die Gesamtzahl nach 4 Jahren fast wieder auf dem des Ausgangsjahres.
In einer Dissertation von Kalz, (2001)14) wurde der Einfluss der Kastration auf die Population verwilderter Katzen in einem Berliner Stadtgebiet geprüft. Das Resümee dieser Untersuchung: die Kastration von Katern hatte keinen Einfluss auf die Reproduktionsrate und -dichte der Katzen. Selbst ein Anteil von zwei Dritteln kastrierter, weiblicher Katzen beeinflusst die Reproduktionsrate und Populationsdichte der Tiere nicht. Kritik wurde an der Praxis des Tierschutzes der Wegnahme ganzer Würfe von den Müttern geübt, weil dies die Populationsdichte sogar erhöht. Die Katzen ziehen dann in der Regel im späten Jahr einen weiteren Wurf groß. Zu den weggenommenen Katzen kommt dann also noch ein weiterer Wurf hinzu, der die zu vermittelnden Tiere verdoppelt. Im Prinzip tragen Tierschützer somit zu einer Erhöhung der Gesamtpopulation bei. Schließlich wurde noch auf die Probleme der frühzeitigen Kastration von Tieren verwiesen, weil deren Wiedereingliederung in die frühere Gruppe durch das Verharren auf einem juvenilen Stand problematisch sein kann. Die Kastration von Tieren vermag also eine Überpopulation kaum einzudämmen und scheint somit für diesen Zweck ungeeignet.
In der Haustierhaltung von Kaninchen ist die Kastration weiblicher Tiere aus Gründen der Vermehrung normalerweise nicht gegeben, weil in der Regel die Rammler kastriert werden. Diese Maßnahme soll vor ungewollter Vermehrung wie auch dem Schutz vor gleichgeschlechtlichen Artgenossen dienen, weil bei Eintreten der Geschlechtsreife Rangordnungskämpfe um das Territorium ausgetragen werden, die auf Grund des begrenzten Territoriums und somit fehlender Ausweichmöglichkeiten eine hohe Verletzungsgefahr bergen.
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