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Qualzucht

Qualzuchtgutachten 2005

Der Tatbestand des § 11b des Tierschutzgesetzes für eine „Qualzucht“ ist erfüllt, wenn bei Wirbeltieren die durch Zucht geförderten oder die geduldeten Merkmalsausprägungen (Form-, Farb-, Leistungs- und Verhaltensmerkmale) zu Minderleistungen bezüglich Selbstaufbau, Selbsterhaltung und Fortpflanzung führen und sich in züchtungsbedingten morphologischen und / oder physiologischen Veränderungen oder Verhaltensstörungen äußern, die mit Schmerzen, Leiden oder Schäden verbunden sind. Die Definition geht auf das sogenannte „Qualzuchtgutachten“ aus dem Jahr 1999 bzw. dem Jahr der Veröffentlichung 2005 zurück.1)

Bei vererbten Merkmalen im Sinne des §11 des Tierschutzgesetzes „handelt es sich um züchterisch geduldete, gewollte oder sogar als Zuchtziel (Rassestandard) festgelegte Merkmale, die selbst tierschutzrelevant sind oder mit tierschutzrelevanten Merkmalen assoziiert sind oder zu entsprechenden Folgeerscheinungen (Abiotrophien) führen.“ Dazu zählten für Kaninchen:

  • Punktscheckung (Scheckenkaninchen, wie Englische Schecken, Deutsche Riesenschecken, Rheinische Schecken, Widderschecken, Kleinschecken und Weiße Hotot),
  • Zwergwüchsigkeit (Zwergrassen wie Hermelinkaninchen und Farbenzwerge, soweit sie unter dem vom Standard vorgegebenen Mindestgewicht von 1,5 bis 1,0 kg bleiben),
  • Langohrigkeit (Widderkaninchen, besonders Englische Widder),
  • Brachygnathia (Kieferverkürzung, vor allem bei Zwergkaninchen, aber auch bei Kaninchen größerer Rassen) sowie spontan auftretende Einzeldefekte wie Schüttellähmung, Spastische Spinalparalyse und Syringomyelie-Spaltbildung im Rückenmark.

Gutachten zu Zwischengenerationen

Laut einem Gutachten2) ist der Bußgeldtatbestand nach §§ 11 auch erfüllt, „…wenn Zucht- oder Veränderungsmaßnahmen an Wirbeltieren erwarten lassen, dass Leiden, Schmerzen oder Schäden lediglich bei Tieren der Zwischengenerationen auftreten werden. Verstöße gegen § 11b Abs. 1 TierSchG sind in diesen Fällen nicht mittels eines ‚vernünftigen Grunds‘ oder anderweitig zu rechtfertigen. […] Wenn Tiere der Zwischengenerationen infolge von Zucht- oder biotechnischen Veränderungsmaßnahmen länger andauernde oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden erfahren und dies zum Zeitpunkt des Zuchtvorgangs für den Züchter vorhersehbar war, liegt neben einer Ordnungswidrigkeit eine nach § 17 Nr. 2b TierSchG zu ahndende Straftat <Tierquälerei> vor. I. d. R. ist die Tat allein strafrechtlich zu verfolgen. Werden Tiere der Zwischengenerationen getötet, obwohl sich die Schmerzen oder Leiden veterinärmedizinisch beheben lassen, wird eine Straftat nach § 17 Nr. 1 TierSchG (Tötung eines Wirbeltiers ohne vernünftigen Grund) begangen. Erst recht dürfen die Tiere nicht getötet werden, wenn sie wider Erwarten schmerz- und leidensfrei überleben können.

Definition Schmerz

Schmerz ist eine unangenehme, sensorische und gefühlsmäßige Erfahrung eines Individuums (Empfindung), die mit akuter oder potentieller Gewebeschädigung einhergeht; eine solche Erfahrung ist nicht gegeben, wenn das Verhalten lediglich ein Abwehr oder Ausweichreflex ist.3)

Definition Leiden

Unter Leiden versteht man alle vom Begriff des Schmerzes nicht erfassten Beeinträchtigungen im Wohlbefinden, die über ein schlichtes Unbehagen hinausgehen und eine nicht ganz unwesentliche Zeitspanne fortdauern. Dazu zählen Empfindungen wie Angst, Verängstigung, negativer Stress längerer Dauer, Schreckzustände, Furchtzustände, Panik, starke Aufregungen oder Erschöpfung, Trauer, starke innere Unruhe, starkes Unwohlsein, Hunger- oder Durstqualen.4)

Definition Schaden

Als Schaden wird der Zustand eines Tieres bezeichnet, der von seinem gewöhnlichen Zustand hin zum Schlechteren abweicht und nicht bald vorübergeht.5) Als Beurteilung des Soll-Zustandes des Tieres dienen dabei Tiere der gleichen Art/Rasse, die unter natürlichen bzw. naturnahen Bedingungen leben bzw. gehalten werden.6) Beispiele:

  • Abmagerung,
  • Abstumpfung der Sinne,
  • herabgesetzte Bewegungsfähigkeit,
  • Entstellung,
  • Fehlen eines Körperteils,
  • Gesundheitsschädigungen (funktionelle Störungen, Hysterien, Krankheiten, Krämpfe, Lähmungen, Missgestaltung etwa durch Züchtung, Nervenschädigungen, Neurosen, Psychopathien als Folge von Schreckerlebnissen und Konfliktsituationen oder Triebhemmungen, Psychosen, Wunden, Zystenbildung),
  • Gewichtssteigerung,
  • Gleichgewichtsstörung,
  • verringerte Leistungsfähigkeit,
  • Verhaltensschädigung,
  • charakterliche Verschlechterung,
  • Verstümmelung.

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1)
Herzog, A.; Bartels, T.; Dayen, M.; Löffler, K.; Reetz, I.; Rusche, B.; Unshelm, J. 2005. Gutachten zur Auslegung von § 11b des Tierschutzgesetzes v.02.06.1999. BMEL vom 26.10.2005. Online, Abruf am 07.08.2022 von https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/tierschutz/gutachten-paragraf11b.html
2)
Cirsovius, T. 2021. Sind tierschutzwidrige Maßnahmen iSv § 11b Abs 1 dt TierSchG legal, wenn bezweckt ist, nach mehreren Zuchtgenerationen ungeschädigte, schmerz‐ und leidensfrei lebensfähige Nachkommen zu erzielen? DOI: 10.35011/tirup/2021-3
3) , 4) , 5)
Lorz, A. und Metzger, E. 2008. Tierschutzgesetz mit Allgemeiner Verwaltungsvorschrift, Rechtsverordnungen und Europäischen Übereinkommen sowie Erläuterungen des Art. 20 a GG. Kommentar. München : C. H. Beck, 2008. ISBN 9783406554360
6)
Hirt, A., Maisack, C. und Moritz, J. 2007. Tierschutzgesetz. Kommentare. 2. Aufl. München : Vahlen, 2007. ISBN 3-8006-3230-6
qualzucht/qualzucht.txt · Zuletzt geändert: 2024/10/21 21:19 von andreas

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